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Ein Dramenentwurf Ludwig Uhlands

und seine spanischen Quellen.

Unter den ziemlich zahlreichen Dramenentwürfen, die Adelbert von Keller aus Uhlands Nachlafs veröffentlichte, bilden diejenigen, die ihren Stoff aus der romanischen Welt entnehmen, eine besondere kleine Gruppe: aufser einem Versuch, den Francesca da Riministoff Danteschen Andenkens dramatisch zu gestalten, finden wir da drei Entwürfe, die uns auf spanischen Boden führen, zwei Lustspiele, 'Die Serenade' und 'Die Bärenritter, ein Trauerspiel, 'Bernardo del Carpio'. Die ersten beiden scheinen mir allerdings nur in der Einkleidung spanisch zu sein, das Zeitalter der Romantik liebte es ja, mit den klangvollen spanischen Namen, der geheimnisvoll lockenden Szenerie, dem kecken Liebeswerben bei Tage, dem Lautenklang und Degengeklirr bei Nacht seine Stoffe aufzuputzen.

Anders verhält es sich mit dem Tragödienentwurf; hier griff Uhland zu einem echt spanisch- nationalen Stoffe: ist doch der Held Bernardo del Carpio eine Gestalt, die der spanische Geist sich nach seinem Bilde geschaffen hat, eine Art Trutzroland, der seines Vaterlandes Ehre gegenüber Kaiser Karl und seinen Paladinen, aber auch gegenüber dem eigenen landesverräterischen König wahrt. Volks- und Kunstpoesie bemächtigten sich wetteifernd des dankbaren Stoffes, den eine Reihe von Romanzen in frischem Gedächtnis erhalten hatte, nationale Schauspieldichter und italianisierende Epiker stellten ihn in den Mittelpunkt ihrer Schöpfungen, und in diesen Kreis tritt denn der spätgeborene deutsche Romantiker mit seinem Entwurf ein.

Als ihn Keller veröffentlichte, zählte er in seiner Vorbemerkung eine Reihe Behandlungen des Stoffes auf, darunter auch Lope de Vegas Comedia El casamiento en la muerte, aber nur der Vollständigkeit halber, eine Bekanntschaft Uhlands mit irgend einem seiner Vorgänger aufser den Romanzen glaubte er leugnen zu sollen. Dafs des Dichters Herausgeber sich geirrt hat, wissen wir, seit J. Hartmann im Jahre 1898 Uhlands Tagebuch aus den Jahren 1810-1820 veröffentlichte. So lakonisch die täglichen Eintragungen auch sind, es läfst sich aus ihnen doch die

Geschichte dieses Entwurfs von der Konzeption bis zur Ausführung leicht rekonstruieren.

Am letzten Mai 1810 kam der dreiundzwanzigjährige Uhland in Paris an, und da erging es ihm, wie es seitdem manchem Romanisten ergangen ist: die Bücherauslagen der Antiquare auf den Seinequais erwiesen sich als eine der anziehendsten Sehenswürdigkeiten von Paris und hemmten gar oft mit ihren zum Herumwühlen lockend ausgebreiteten Schätzen den Schritt des Vorübergehenden. Die ersten drei Tage wurden dem Besuch der Museen gewidmet; aber der Louvre, in dem doch damals aller Welt Herrlichkeiten aufgehäuft waren, entlockte dem wortkargen jungen Dichter kein Wort der Bewunderung, dafs er jedoch am vierten Tage 'bei den oberen Brücken' einen Volksroman erstand, wurde der Eintragung in das Tagebuch für würdig erachtet. Man mag lächeln, wenn man eine spätere Notiz (vom 12. Oktober) liest: auf dem Pont St. Michel hat er ein Exemplar der Guerras civiles de Granada aufgefunden und 'erkauft'; im Tagebuche heifst es: 'da mir schon oft von alten Büchern, die ich fände, geträumt, so zweifelte ich im ersten Augenblick beinahe, ob es nicht ein Traum wäre.' Bis in den tiefsten Traum verfolgte ihn also der Gedanke an die geliebten Büchertrödler.

Und nun scheint es, als ob die Pariser bouquinistes die unfreiwilligen Vermittler zwischen Uhland und der spanischen Sprache im allgemeinen, zwischen ihm und Bernardo del Carpio im besonderen gewesen sind. Am 6. Juni, also am Ende der ersten Woche des Pariser Aufenthalts, heifst es: 'Gang auf die Quais. Spanisches Dictionnaire.' Am folgenden Tage: 'Durchlesung der spanischen Grammatik.' Man darf wohl annehmen, dafs der Kauf des Wörterbuches die Anregung zum Studium der Grammatik gab, vielleicht war auch ein Abrifs der Formenlehre mit dem Lexikon verbunden. Wie dem auch sei, vierzehn Tage später, am 22. Juni, glückte ein wichtiger Kauf; unter diesem Datum lesen wir: 'Bücherversteigerung. Lope de Vega.' Die Anführung einiger Dramentitel in den folgenden Monaten verrät, dafs Uhland den ersten Band der Comedias Lope de Vegas erwarb, der zuerst 1604 erschien und in demselben Jahre noch wie in den folgenden häufig an verschiedenen Orten nachgedruckt wurde. Solch stolzer Erwerb mochte den spanischen Studien kräftigen Antrieb geben; drei Wochen waren noch nicht um, als Uhland sich an die Lektüre eines Lopeschen Dramas machte: eine Eintragung vom 11. Juli lautet: 'El hijo de Roduan' (Druckoder Schreibfehler für Reduan) und nennt damit, wie schon angedeutet, eine Comedia des ersten Bandes. Dann wird es über zwei Monate still vom Spanischen; erst am 25. September heifst es: 'im Lope de Vega die Romanze vom Erzbischof Ildefonso gefunden', zwei Tage später: Übersetzung der Romanze von

Ildefons.' Die Quelle war eine in Romanzenversen abgefasste Episode der Comedia El rey Bamba.

Wieder tritt eine Pause von zwei Monaten ein, dann aber erhält Uhland den entscheidenden Anstofs. In den letzten Tagen des Novembers traf er mit Immanuel Bekker zusammen, und dieser machte ihm den Vorschlag, zu zweit Spanisch zu treiben. Schon am folgenden Tage begann das gemeinsame Studium und zwar mit Lope, El rey Bamba wurde vorgenommen, darauf das Bernardo del Carpiodrama, El casamiento en la muerte. Nun reden die Notizen für sich selber; am 2. Dezember schrieb Uhland: 'Ich hatte Morgens im Lope de Vega die Romanze von Kaiser Karl etc. gelesen; mit dem Gedanken an diesen Fabelkreis ging ich gegen die Notredamekirche, auf dem Pont Michel vergeblich nach alten Büchern suchend, bis ich endlich ganz unvermutet beim Louvre den Volksroman von Karl dem Grofsen fand... Stunde mit Bekker'; am sechsten: 'Stunde mit Bekker. Beendigung des Casamiento en la muerte'; acht Tage später: 'Neuerwachte Lust zu irgend einer Bearbeitung des Bernardo del Carpio von Lope de Vega.'

Damit ist gezeigt, dafs Lopes Drama die erste Anregung zu Uhlands Entwurf lieferte: bis zur Ausführung war es allerdings noch weit hin, und andere Einflüsse hatten Gelegenheit genug, sich geltend zu machen. Zunächst trat in Paris Lope de V Vega zurück, wenn auch die spanischen Studien weitergingen; erst im folgenden Jahre, als unser Dichter schon wieder in Tübingen war, findet sich (9. März 1811) die Notiz 'Wiedererwachte Lust zur Bearbeitung des Bernardo del Carpio.' Aber auch jetzt blieb es beim Planen: die Gestalten Calderons, der gerade damals in Schlegels Übersetzung dem Dichter durch Köstlins Vermittlung nahetrat, drängten Lope de Vega zurück, und diesmal für lange Zeit: sein Name wird im Tagebuch, das bis 1820 reicht, nur noch einmal, und zwar erst im Jahre 1819, genannt. Aber der Bernardostoff schlummerte doch nur; als Uhland im Januar 1814 von Weckherlin einen Cancionero de romances geliehen erhielt, da schrieb er sich die Romanzen von Bernardo del Carpio besonders ab (17. Juni), drei Jahre später, im Jahre 1817, bildeten sie die Lektüre des ersten Weihnachtstages; etwas über ein Jahr später erwachte dann der Stoff zu neuem Leben.

Wohl möglich, dafs die Aufführung von 'Das Leben ein Traum', mit der das Stuttgarter Theater am 12. April 1819 wieder eröffnet wurde, die halbvergessenen Pläne neu auftauchen liefs. Elf Tage später schrieb jedenfalls Uhland in das Tagebuch: 'Die Romanzen von Bernardo del Carpio gelesen, neue Auffassung dieses dramatischen Stoffes. Lope de Vegas Casamiento en la muerte.' Durch den Rest des Aprils und fast den ganzen Mai zieht sich dann die Beschäftigung mit dem Entwurf:

am 2. Mai wird das Trauerspiel Bernaldo', wie der Dichter nun häufig schreibt, angefangen; Deppings Sammlung spanischer Romanzen, Marianas Spanische Geschichte werden studiert, alles wegen Bernardo.' Dann lenkte aber wohl die Beschäftigung mit der zweiten Auflage der 'Gedichte', der Wiederbeginn der Landtagsverhandlungen, ein neuer Plan zu einem 'Ezzelin' (von dem übrigens nichts mehr vorhanden zu sein scheint) von dem eben begonnenen Werk ab. Aber noch im Oktober desselben Jahres wird der Bernardo wieder aufgenommen; wieder sucht Uhland in den Romanzen und bei Mariana Anregung und Lokalfarbe, auch Shaksperes Heinrich VI. las er, vielleicht weil ihm das Verhältnis von Herrscher und Baronen in England und Spanien Analogien zu bieten schien. Auf einem Spaziergang legte er schon am 16. Oktober dem treuen Freunde Gustav Schwab den Plan seines Werkes dar, drei Wochen später konnte er sich notieren: 'Beendigung des Planes'.

Aber damit hatte auch das Interesse seinen Höhepunkt schon überschritten; neue Pläne drängen sich ein, dreiviertel Jahre vergehen, ehe es noch einmal (28. September bis 1. Oktober 1820) heifst: Beschäftigung mit Bernardo'; zum letztenmal notiert Uhland im Tagebuche zum 16. Dezember: 'Ideen zum dritten Akte des Bernardo.' Immerhin war es auch dann noch nicht ganz zu Ende. Was von dem Entwurf vorhanden ist, zerfällt in drei Teile: ein an einzelnen Stellen ziemlich eingehendes Szenarium der fünf Akte, das nach einer Randbemerkung vom 21. Oktober bis 7. November 1819 entstand, eine Ausführung der ersten Szene in Blankversen, die am 3. Mai 1819, also früher als das Szenarium, begonnen wurde, endlich eine Ausführung derselben Szene in trochäischen, an spanische Formen anklingenden Versen, die am 14. Februar 1822 begonnen wurde. Damit erlischt die letzte Spur: zwölf Jahre hindurch, 1810-1822, hatte sich der Dichter mit dem Stoff beschäftigt.

Die Notizen des Tagebuches geben die äufsere Geschichte des Entwurfs; sie deuten aber auch zugleich an, aus welchen Elementen der Plan sich dem Dichter allmählich herauskristallisierte. Der Stoff trat ihm, wie gezeigt, in Lope de Vegas Comedia entgegen, wahrlich in einer Gestalt, die ein romantisch gestimmtes Gemüt ergreifen, die dichterische Phantasie zur Tätigkeit anregen mochte. Kein Meisterwerk, am allerwenigsten ein Drama nach unseren Begriffen, und doch in einzelnen Szenen erfüllt von echter, starker Poesie. Gleich der Anfang ist im Guten wie im Schlechten charakteristisch: wie seltsam unbeholfen, unzufriedene spanische Granden einen nach dem andern auftreten und ihr Sprüchlein (je eine Oktave) hersagen zu lassen, ohne auch nur den Versuch zu machen, einen Dialog zu gestalten! Zu einem solchen kommt es erst, als der König Alfonso 'der

Keusche' auftritt und nun die empörten Grofsen sich gegen ihn wenden. Aber immer noch lassen die feierlichen Oktaven keine dramatische Bewegung aufkommen, da erscheint Bernardo. Das Versmals wechselt: in den stürmisch hastenden Romanzen versen richtet der Held an seinen König eine Anrede von hinreifsender Wirkung: eine Anklage, in der sich der Zorn des Patrioten und der Schmerz persönlicher Unbill wie in unhemmbarem Strome Luft machen. Noch einmal: wie undramatisch ist diese Anfangsszene und doch welche Kunst poetischer Steigerung!

Es handelt sich bei alledem um den Plan des kinderlosen Königs, die Krone von Asturien und Leon an Karl den Grofsen zu übertragen; gegenüber dem nationalen Widerstande, dessen beredtester Träger sein illegitimer Neffe Bernardo ist, gibt er nach, Bernardo selbst wird die Rücknahme seiner Verheifsung nach Paris bringen. Aber vorher führt uns der Dichter, den Einheit der Handlung oder gar Verringerung des Szenenwechsels wenig schiert, nach Paris und zeigt uns das Liebespaar Durandarte und Belerma, dann noch zum maurischen König Aragons, den Bernardo als Bundesgenossen gegen Frankreich gewinnt, denn seine Parole heifst Spanien den Spaniern, gleichviel ob Christen oder Muselmanen. Dann erst sehen wir Bernardo seine Gesandtschaft ausrichten: er tut es als volksmäfsiger Held so unhöflich und grob als möglich, 'mit grofsem Getöse nimmt er einen Stuhl und setzt sich', sagt die Bühnenanweisung, mit Roland wetteifert er in Drohreden und Prahlereien, auf spanischem Boden wollen sich beide messen. Das ist der effektvolle Abschlufs des ersten Aktes.

Der zweite Akt bringt die Niederlage von Roncesvalles auf die Bühne, wieder in sehr lose zusammenhängenden Bildern: Trennung_treuer Liebender in Paris und Zusammenfinden ungleicher Bundesgenossen in Spanien, zwei Prophezeiungen ex eventu, nämlich zukunftkündende Bilder, die Bernardo in einer Höhle entdeckt, und die Visionen von Kastilien und Leon, die dem schlafenden Helden erscheinen. Zwischen diese beiden Szenen ist ein Auftritt eingeschoben, der im Lager der Franzosen den Gegensatz zwischen den übermütig siegeszuversichtlichen Pairs und dem zur Vorsicht mahnenden Don Beltran zeigt, endlich, zum Schlufs des Aktes aufgespart, wieder eine Effektszene, der geschickt verwendete Romanzenbruchstücke auch poetischen Glanz geben: Niederlage der Franzosen, bis in den Tod bewiesene Freundestreue, Roland fällt, von Bernardo erwürgt, weil kein Schwert den Unverwundbaren verletzen kann. Die Vernichtung der letzten Reste der Franzosen auf der Peña de Francia schildert mit willkürlicher Übertragung legendarischer Überlieferungen eine Episode des dritten Aktes.

Die Haupthandlung dieses letzten Aktes hängt mit derjenigen der ersten beiden durch Verzahnungen zusammen, die

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