ohne Zweideutigkeit nuken? Beides ist eins. Denn wenn wir Beiwörter hintennach sehen wollen, so müssen sie im statu absoluto1 stehen; wir müssen sagen: runde Räder, ehern und achtspeichicht. Mein in diesem statu kommen unsere Adjektiva 5 völlig mit den Adverbiis überein und müssen, wenn man sie als solche zu dem nächsten Zeitworte, das von dem Dinge prädizieret wird, ziehet, nicht selten einen ganz falschen, allezeit aber einen sehr schielenden Sinn verursachen. Doch ich halte mich bei Kleinigkeiten auf und scheine das 10 Schild vergessen zu wollen, das Schild des Achilles; dieses berühmte Gemälde, in dessen Rücksicht vornehmlich Homer vor alters als ein Lehrer der Malerei* betrachtet wurde. Ein Schild, wird man sagen, ist doch wohl ein einzelner körperlicher Gegenstand, dessen Beschreibung nach seinen Teilen nebenein15 ander dem Dichter nicht vergönnet sein soll? Und dieses Schild hat Homer in mehr als hundert prächtigen Versen nach seiner Materie, nach seiner Form, nach allen Figuren, welche die ungeheure Fläche desselben füllten, so umständlich, so genau beschrieben, daß es neuern Künstlern nicht schwer gefallen, eine in 20 allen Stücken übereinstimmende Zeichnung darnach zu machen. Ich antworte auf diesen besondern Einwurf, - daß ich bereits darauf geantwortet habe. Homer malet nehmlich das Schild nicht als ein fertiges, vollendetes, sondern als ein werdendes Schild. Er hat also auch hier sich des gepriesenen Kunst25 griffes bedienet, das Koexistierende seines Vorwurfs in ein Konsekutives zu verwandeln und dadurch aus der langweiligen Malerei eines Körpers das lebendige Gemälde einer Handlung zu machen. Wir sehen nicht das Schild, sondern den göttlichen Meister, wie er das Schild verfertiget. Er tritt mit Hammer 30 und Zange vor seinen Amboß, und nachdem er die Platten * Dionysius Halicarnass. in Vita Homeris apud Th. Gale in Opusc. Mythol. p. 4014. 1 Undekliniert. 2 Ausgesagt (vgl. „Prädikat"). 3 Dionysius von Halikarnas, Zeitgenosse des Augustus, war angeblich Verfasser einer Lebensbeschreibung des Homer. 4 Die „Opuscula mythologica, ethica et physica" (Cambridge 1671) des Thomas Gale (1636-1702) enthalten eine Ausgabe der zitierten Homerbiographie. aus dem gröbsten geschmiedet, schwellen1 die Bilder, die er zu dessen Auszierung bestimmet, vor unsern Augen, eines nach dem andern, unter seinen feinern Schlägen aus dem Erzte hervor. Eher verlieren wir ihn nicht wieder aus dem Gesichte, bis alles fertig ist. Nun ist es fertig, und wir erstaunen über 5 das Werk, aber mit dem gläubigen Erstaunen eines Augenzeugens, der es machen sehen. Dieses läßt sich von dem Schilde des Äneas beim Virgil nicht sagen. Der römische Dichter empfand entweder die Feinheit seines Musters hier nicht, oder die Dinge, die er auf sein 10 Schild bringen wollte, schienen ihm von der Art zu sein, daß sie die Ausführung vor unsern Augen nicht wohl verstatteten. Es waren Prophezeiungen, von welchen es freilich unschicklich gewesen wäre, wenn sie der Gott in unserer Gegenwart ebenso deutlich geäußert hätte, als sie der Dichter hernach ausleget. 15 Prophezeiungen, als Prophezeiungen, verlangen eine dunkelere Sprache, in welche die eigentlichen Namen der Personen aus der Zukunft, die sie betreffen, nicht passen. Gleichwohl lag an diesen wahrhaften Namen, allem Ansehen nach, dem Dichter und Hofmanne hier das meiste*. Wenn ihn aber dieses ent- 20 * Ich finde, daß Servius 3 dem Virgil eine andere Entschuldigung leihet. Denn auch Servius hat den Unterschied, der zwischen beiden Schilden ist, bemerkt:,,Sane interest inter hunc et Homeri clypeum; illic enim singula dum fiunt narrantur; hic vero perfecto opere noscuntur: nam et hic arma prius accipit Aeneas, quam spectaret; ibi postquam omnia nar- 25 rata sunt, sic a Thetide deferuntur ad Achillem 4" (ad v. 625. lib. VIII. Aeneid.). Und warum dieses? Darum, meinet Servius, weil auf dem Schilde des Äneas nicht bloß die wenigen Begebenheiten, die der Dichter anführet, sondern genus omne futurae Stirpis ab Ascanio pugnataque in ordine bella 5 1 Lessing denkt an getriebene Arbeit. - 2 Durch die Hinweise auf die spätere römische Geschichte in der „Üneis" sollte dem Kaiser Augustus geschmeichelt werden. 3 Vgl. S. 76 dieses Bandes, Anm. 1. - 4 „Es ist allerdings ein Unterschied zwischen diesem Schild und dem des Homer; denn dort wird alles einzelne beschrieben, während es gemacht wird, hier aber lernt man es nach Vollendung des Werkes kennen: denn hier empfängt auch Üneas erst die Waffen und betrachtet sie dann; dort werden sie von der Thetis zu Achilles gebracht, nachdem alles beschrieben worden ist." s Virgil, „Üneïs", 8. Gesang, V. 628 f.: „Alles Geschlecht, das entblühn einst Wird von Askanius' Stamm, und die Reihe durchfochtener Kriege". 30 schuldiget, so hebt es darum nicht auch die üble Wirkung auf, welche seine Abweichung von dem Homerischen Wege hat. Leser von einem feinern Geschmacke werden mir recht geben. Die Anstalten, welche Vulkan zu seiner Arbeit macht, sind bei dem 5 Virgil ungefähr ebendie, welche ihn Homer machen läßt. Aber anstatt daß wir bei dem Homer nicht bloß die Anstalten zur Arbeit, sondern auch die Arbeit selbst zu sehen bekommen, läßt Virgil, nachdem er uns nur den geschäftigen Gott mit seinen Zyklopen überhaupt gezeiget, 10 15 Ingentem clypeum informant Alii ventosis follibus auras Accipiunt redduntque: alii stridentia tingunt In numerum versantque tenaci forcipe massam3.* abgebildet waren. Wie wäre es also möglich gewesen, daß mit eben der Geschwindigkeit, in welcher Vulkan das Schild arbeiten mußte, der Dichter die ganze lange Reihe von Nachkommen hätte namhaft machen und alle von ihnen nach der Ordnung geführte Kriege hätte erwähnen können? Dieses ist 20 der Verstand der etwas dunkeln Worte des Servius: „Opportune ergo Virgilius, quia non videtur simul et narrationis celeritas potuisse connecti, et opus tam velociter expediri, ut ad verbum posset occurrere1." Da Virgil nur etwas Weniges von dem non enarrabili texto clypei 2 bei= bringen konnte, so konnte er es nicht während der Arbeit des Vulkanus selbst 25 tun, sondern er mußte es versparen, bis alles fertig war. Ich wünschte für den Virgil sehr, dieses Näsonnement des Servius wäre ganz ohne Grund; meine Entschuldigung würde ihm weit rühmlicher sein. Denn wer hieß ihm, die ganze römische Geschichte auf ein Schild bringen? Mit wenig Gemälden machte Homer sein Schild zu einem Inbegriffe von allem, was in der Welt 30 vorgehet. Scheinet es nicht, als ob Virgil, da er den Griechen nicht in den Vorwürfen und in der Ausführung der Gemälde übertreffen können, ihn wenigstens in der Anzahl derselben übertreffen wollen? Und was wäre kindischer gewesen? - * Aeneid. lib. VIII. 447-54. 1 „Virgil handelt deshalb verständig, da schwerlich in derselben Zeit, in der die rasch vorschreitende Beschreibung gegeben wurde, das Werk selbst so gefördert worden wäre, daß es mit der Darstellung Schritt halten konnte." 2 „Unerzähl= bare Darstellung auf dem Schilde." 3 „Einen gewaltigen Schild entwirft man Die ziehen mit atmenden Bälgen den Windhauch Hämmern im Takt und wenden mit packender Zange die Masse." den Vorhang auf einmal niederfallen und verseht uns in eine ganz andere Szene, von da er uns allmählich in das Tal bringt, in welchem die Venus mit den indes fertig gewordenen Waffen bei dem Üneas anlangt. Sie lehnet sie an den Stamm einer Eiche, und nachdem sie der Held genug begaffet und bestaunet 5 und betastet und versuchet, hebt sich die Beschreibung oder das Gemälde des Schildes an, welches durch das ewige „Hier ist" und „da ist", „nahe dabei stehet" und nicht weit davon siehet man" so kalt und langweilig wird, daß alle der poetische Schmuck, den ihm ein Virgil geben konnte, nötig war, um es uns nicht 10 unerträglich finden zu lassen. Da dieses Gemälde hiernächst nicht Üneas macht, als welcher sich an den bloßen Figuren ergözet und von der Bedeutung derselben nichts weiß, rerumque ignarus imagine gaudet'; auch nicht Venus, ob sie schon von den künftigen Schicksalen 15 ihrer lieben Enkel vermutlich ebensoviel wissen mußte als der gutwillige Ehemann; sondern da es aus dem eigenen Munde des Dichters kömmt: so bleibet die Handlung offenbar während demselben stehen. Keine einzige von seinen Personen nimmt daran teil; es hat auch auf das Folgende nicht den geringsten 20 Einfluß, ob auf dem Schilde dieses oder etwas anders vorgestellet ist; der wizige Hofmann leuchtet überall durch, der mit allerlei schmeichelhaften Anspielungen seine Materie aufstuket, aber nicht das große Genie, das sich auf die eigene innere Stärke seines Werks verläßt und alle äußere Mittel, interessant zu 25 werden, verachtet. Das Schild des Üneas ist folglich ein wahres Einschiebsel, einzig und allein bestimmt, dem Nationalstolze der Römer zu schmeicheln; ein fremdes Bächlein, das der Dichter in seinen Strom leitet, um ihn etwas reger zu machen. Das Schild des Achilles hingegen ist Zuwachs des eigenen frucht- 30 baren Bodens; denn ein Schild mußte gemacht werden, und da das Notwendige aus der Hand der Gottheit nie ohne Anmut 1 „Aneis", 8. Gesang, V. 703. „Und erfreut sich des Bilds, unkundig der Deutung." 2 Äneas war nach der Sage der Sohn des Anchises und der Venus, sein Sohn Askanius der Stammvater des römischen Geschlechts der Julier, die Römer also die Nachkommen (Enkel) der Venus. 3 Vulkan, den Venus, wie oft, mit dem Anchises betrogen hat. kömmt, so mußte das Schild auch Verzierungen haben. Aber die Kunst war, diese Verzierungen als bloße Verzierungen zu behandeln, sie in den Stoff einzuweben, um sie uns nur bei Gelegenheit des Stoffes zu zeigen; und dieses ließ sich allein in 5 der Manier des Homers tun. Homer läßt den Vulkan Zieraten künsteln, weil und indem er ein Schild machen soll, das seiner würdig ist. Virgil hingegen scheinet ihn das Schild wegen der Zieraten machen zu lassen, da er die Zieraten für wichtig gnug hält, um sie besonders zu beschreiben, nachdem das Schild lange 10 fertig ist. ΧΙΧ. Die Einwürfe, welche der ältere Scaliger1, Perrault2, Terrasson und andere gegen das Schild des Homers machen, sind bekannt. Ebenso bekannt ist das, was Dacier, Boivin und 15 Pope darauf antworten. Mich dünkt aber, daß diese lestern sich manchmal zu weit einlassen und in Zuversicht auf ihre gute Sache Dinge behaupten, die ebenso unrichtig sind, als wenig sie zur Rechtfertigung des Dichters beitragen. Um dem Haupteinwurfe zu begegnen, daß Homer das 20 Schild mit einer Menge Figuren anfülle, die auf dem Umfange desselben unmöglich Raum haben könnten, unternahm Boivin, es mit Bemerkung der erforderlichen Maße zeichnen zu lassen. Sein Einfall mit den verschiedenen konzentrischen Zirkeln ist sehr sinnreich, obschon die Worte des Dichters nicht den gering25 sten Anlaß dazu geben, auch sich sonst keine Spur findet, daß die Mten auf diese Art abgeteilte Schilder gehabt haben. Da es Homer selbst σακος παντοσε δεδαιδαλμενον“, „ein auf allen 1 Julius Cäsar Scaliger (1484-1558) in dem erst 1561 gedruckten, für die Renaissancedichtung maßgebenden Werke „Poetices libri VII“. 2 Charles Perrault (1628-1703) in der „Parallèle des anciens et des modernes" (1688 bis 1698). 3 Jean Terrasson (1670-1750) in der „Dissertation critique sur l'Iliade d'Homère, où, à l'occasion de ce poëme, on cherche les règles d'une poétique fondée sur la raison et sur les exemples des anciens et des modernes" (Paris 1715). 4 André Dacier (1651-1722), der leidenschaftliche Gegner Terrassons, in der Vorrede zu seiner Ausgabe des „Manuel d'Epictete" (1715). 5 Jean Boivin de Villeneuve (1649-1724) in seiner ebenfalls gegen Terrasson gerichteten „Apologie d'Homère et du bouclier d'Achille" (1715). 6 Alexander Pope (1688-1744) in seiner Homerübersehung (1715), Bd. 3: „Observations on the shield of Achilles". 7 Angabe. |